Seiten

Mittwoch, 9. November 2016

Tim* - Ein Nachtkind

Heute Morgen brachte ich den kleinen Minimolekülmann in die KiTa. Das mache ich morgens ja erst seit ein paar Tagen, da das sonst mein Herr Herzmolekül vor der Arbeit erledigte, weil ich den weiteren Weg und den früheren Unterrichtsbeginn habe/hatte. 
Als wir zur Tür hereinkamen, kam mir nun zum wiederholten Male ein kleiner Junge im Grundschulalter entgegen und begrüßte uns: "Ich bin der Tim. Ich muss jetzt in die Schule!" "Guten Morgen, Tim," antwortete ich und wünschte ihm einen ganz schönen Schultag. Ihm fiel auf, dass er seine Mütze vergessen hatte, weswegen eine der beiden TaMü, die uns ebenfalls gerade begrüßte sagte, er solle dann seine Kapuze der Winterjacke aufsetzen, was ihm als Lösung ausreichte. Ich hatte mir das vertraute Treiben zwischen Kind und TaMu wohl sehr interessiert angeschaut und fragte mich schon seit ein paar Tagen, weswegen der Kleine, der ja längst aus dem Betreuungsangebot der U3 Kinder herausfiel, noch hier zugegen war? Gleichzeitig wollte ich aber nicht zu neugierig erscheinen und fragte deswegen - ganz entgegen meiner Natur - nicht nach.
Der Kleine fand es ziemlich spannend, wie ich den Minimolekülmann gerade aus seinen Sachen schälte und ob der gemütlichen Atmosphäre geriet er ins Plaudern: "Ich bin schon sieben Jahre alt und die Djan* (TaMu) kenne ich schon seitdem ich drei Jahre alt bin. Meine Mutter ist nämlich da gestorben."

Uff, das saß. Ich bin schon immer - was solche Dinge anbelangt - sehr zart besaitet gewesen und diese Schwangerschaft trägt nun nicht gerade dazu bei, dass mich solche Informationen weniger treffen. Im Gegenteil: Ich bin da regelrecht schutzlos. Verwundbar. "Oh, Tim. Das tut mir furchtbar leid", stammelte ich absolut ehrlich und nahezu den Schmerz fühlend. Es ist wirklich so: Ich fühlte den Verlust, den ich persönlich glücklicherweise noch nicht erleben musste. Ich fühlte ihn aus Sicht einer Mutter. Ich dachte an meinen kleinen Zwerg, der sich gerade geduldig seine Pantöffelchen anziehen ließ, dachte an die beiden Walzertänzer in meinem Bauch und war tieftraurig. 
Nun musste Tim aber wirklich los und Djan* begann zu erzählen.
Tim verlor seine Mutter ganz plötzlich im Alter von drei Jahren. Der Vater, nun alleinerziehend, ist Bäcker. Es gibt keine Großeltern, keine Geschwister, niemand gab Halt.
Glücklicherweise gingen Tim und einer von Djans Söhnen zu dieser Zeit in den gleichen Kindergarten. Dort wurde Djan von einer der Erzieherinnen angesprochen, dass dieser kleine Mensch gerade einen großen Verlust erlebt habe, der Vater sechs Mal in der Woche nachts nicht da ist und sich niemand um das Kind kümmern kann. Die Existenz dieser kleinen Familie war bedroht.
Und Djan, diese verrückte, liebenswerte Nudel, die sagte ohne mit der Wimper zu zucken: "Ich nehme ihn. Der Vater soll ihn bringen!"
Seit diesem Tage kommt der Kleine jeden Sonntagabend um 18:30 Uhr im Schlafanzug zu Djans Familie. Ihre beiden Söhne spielen dann noch ein bisschen mit ihrem "Nachtbruder" und dann gehen sie alle drei ins Kinderzimmer, denn sie teilen sich eins.
Am nächsten Morgen kommt Tim mit in die KiTa und geht dann von dort aus zu der gegenüberliegenden Grundschule. Danach wird er von seinem Vater abgeholt und abends wieder zu Djan gebracht. Manchmal hat sie ihn auch 24 Stunden bei sich. Normalerweise geht Djans Übernahme von Sonntag bis Freitag. Das heißt: Einen Tag in der Woche schläft Tim Zuhause. In seinem Bett. Jetzt aber, in der stressigen Weihnachstzeit ist es so, dass er die ganze Woche über nachts bei Djan schläft. "Ich will dieses Kind nicht mehr hergeben. Er ist wie meins", sagt sie und ich glaube es ihr. Ihre warmen, herzlichen Augen sprechen eine ganz deutliche Sprache. "Mir ist es egal, dass die Zeit zwischen 0 und 6 Uhr nicht einmal vergütet wird. Ich würde das auch komplett ohne Bezahlung machen!", auch das glaube ich ihr.
Ich bin beeindruckt. Diese Selbstlosigkeit einer ganzen Familie macht mich sprachlos. Die beiden Jungs teilen ihr Zimmer mit noch einem weiteren. Einfach so. Weil´s eben richtig war für die Familie das zu tun. 

In Zeiten wie diesen sind es doch solche Geschichten, die zeigen, dass es noch viel Gutes in der Welt gibt. Und das machte mich auf dem Rückweg nach Hause verdammt glücklich.

Eure Penny, die jetzt 36 Bifis essen könnte und es natürlich nicht macht. Aber ich könnte. Ernsthaft. 



* sowohl Tims als auch Djans Name sind natürlich frei erfunden. Der Rest stimmt.

4 Kommentare:

  1. Was für eine berührende Geschichte die zeigt nicht reden sondern handeln verändert etwas.

    AntwortenLöschen
  2. Oh.
    Einmal Grüße unbekannterweise an diese Frau.
    Ein klitzekleines Bisschen märchenhaft.

    AntwortenLöschen
  3. Oh.
    Einmal Grüße unbekannterweise an diese Frau.
    Ein klitzekleines Bisschen märchenhaft.

    AntwortenLöschen