Seiten

Mittwoch, 11. Januar 2017

Toni

Du heißt eigentlich mit Vornamen gar nicht Toni. Du heißt so wenig Toni, wie ich Annette oder Ayse heiße. Du hast einen sehr muslimischen Vornamen. Aber dein Nachname, der reimte sich so wunderbar auf Toni (so wie Toni Maccaroni), dass ich vor fünf oder sechs Jahren (ich weiß es nicht mal mehr genau) im Lehrerzimmer stand und du schlakstest da so herein und es war klar: Du bist Toni. 

Mit der Zeit habe ich deinen eigentlichen Vornamen nur noch dir gegenüber formuliert. Insgeheim warst du für alle Toni. Manchmal, wenn du mich in meiner Pausenaufsicht zuquatschtest, da rutschte mir fast versehentlich: "Boar Toni, lass mich mal in Ruhe hier stehen" heraus. Und ich vergaß deinen wirklichen Vornamen im Gespräch oft. Wer dann nicht zum Inner "Toni"-Circle gehörte, der schaute schon echt komisch. Aber egal, du bist Toni. Du wirst das auch bleiben.

Du bist vor vielen Jahren aus einem afrikanischen Land zu uns gekommen. Dass ich das Land nicht genauer definieren kann, macht mich seit zwei Tagen ziemlich traurig. Ich weiß es nicht (mehr). Ich habe es vergessen. Es ist nicht so, dass ich mich nicht für deine Herkunft interessiert habe, aber es war immer wahnsinnig anstrengend für mich und alle Anderen sich mit dir auf Deutsch zu unterhalten. Wie oft kamen Schüler zu mir und sagten: "Der Herr T., der ist total nett. Aber wir verstehen kein einziges Wort von dem, was er sagt/erklärt!" und ich versuchte ihnen immer Mut zu machen dann eben 25678 Mal nachzufragen oder dir direkt zu sagen, dass sie dich nicht verstehen.

Ich war immer ehrlich zu dir. Du hast mich manches Mal absolut in den Wahnsinn getrieben. Du hast so eine Art, die mir immer sagte:" Hallo, kleines, dummes Mädchen. Ich erkläre dir mal die große, weite Welt des Lehrerberufes!" Puuuuh, ich weiß gar nicht wie oft ich dich im Lehrerzimmer angeblufft habe oder dir manche Morgende auch regelrecht aus dem Weg ging, weil ich schlichtweg keinen Nerv auf weitere Belehrungen deinerseits hatte. Und das habe ich dir auch gesagt: "Toni, bitte quatsch mich um 7 Uhr nicht wegen XYZ an. Später, ja?"
Nie nahmst du mir das krumm. Meist hast du gelacht, irgendwas in dich hineingefaselt, was ich nicht verstand und gut war.

Bei deinen Schüler lässt du Milde und Güte walten. Und das hat dich schon sehr oft an deine persönlichen Grenzen gebracht. Sie respektierten dich als muslimischen Älteren, aber nicht als Pädagogen. Dazu bist du zu weich. Zu nachlässig. Zu lieb.

Als ich vor 3 Monaten die Schule verließ, hatten wir zuvor große Probleme in meiner Klasse. Die Schüler waren aufmüpfig und frech. Besonders zu dir. Es war dir meist gar nicht möglich dort zu unterrichten. Unzählige Gespräche, Sanktionen und andere pädagogische Maßnahmen versagten. Das tat mir aufrichtig leid für dich. Denn du bist ein Guter. Wirklich.

Wenn du nicht gerade eine deiner Belehrungen (die du übrigens, so bin ich sicher, niemals böse meinst, nur leider nicht bemerkst, wie falsch das ankommt!) losgelassen hast, kamst du immer - und ich meine IMMER - zu mir und hast mir irgendetwas zu essen angeboten. Okay, du warst da auch schon sehr penetrant, denn wenn ich morgens um 8 Uhr noch keine mit Zwiebeln gefüllten Hackfleischrollen essen mochte, dann hieltest du mir die Tupperdose trotzdem stur weiterhin vor die Nase. Und noch einen Zentimeter. Und noch einen. Jetzt sitze ich hier und grinse. 
Und du hattest immer kiloweise Obst dabei, damit du das gesamte Kollegium notfalls hättest durchbringen können.

Damit deine fünf Kinder es besser/leichter haben würden als du, hast du ihnen die bestmöglichste Ausbildung angedeihen lassen. Und so leben sie alle mit deiner Frau seit nunmehr drei Jahren in England. Deine älteste Tochter hat dort gerade einen Studienplatz ergattert und du hast mir davon zu recht wahnsinnig stolz erzählt.
Gerade das finde ich sehr bemerkenswert an dir. Du, der tiefgläubige Moslem, dessen Töchter ausnahmslos Kopftuch tragen müssen, du wolltest, dass sie was lernen. Nicht nur deine Zwillingssöhne, sondern mindestens genauso deine Töchter. Sie sollten einen Beruf erlernen. Selbständig werden. Sich selber ernähren können. Und dafür nahmst du schon diese vielen Jahre des Getrenntseins in Kauf. FAST JEDES Wochenende fuhrst du mit dem Auto zu ihnen. Und wenn dann mal eine Zahnspange fällig war, dann holtest du "mal eben" eines deiner Kinder sonntags ab und brachtest es dann freitags einfach wieder zurück. Ich weiß noch, dass ich dir häufig sagte, wie zeitintensiv diese Fahrerei sein müsste und du hast es jedes Mal abgewunken. 

Toni, du siehst (wenn du das auf deiner Wolke oder in deinem Paradies unter einem Apfelbaum im Schatten sitzend liest) mir fällt es schwer über dich in der Vergangenheit zu schreiben. Ich kann es nicht verstehen, dass du - fast auf den Tag ein Jahr nachdem H schon so jung aus unserem Kollegium und unserer Welt gegangen ist - auch gegangen bist.
Es macht mich unfassbar traurig, dass du so allein, ohne deine Familie so plötzlich von heute auf morgen gehen musstest. Dass du samstags vor Schmerzen ins Krankenhaus gehst und sonntags nicht mehr aufwachst. Das ist alles unbegreiflich. Bestürzend. Traurig.

Ich war - wie ich schon schrieb - ganz oft genervt von dir. Aber ebenso wie ich genervt war, habe ich dich immer als sehr lieben, gutmütigen Menschen betrachtet.
Du wirst fehlen. Wieder einer wird fehlen. Wieder wird ein schwarzes Band um das Kollegiumsbild im Eingangsbereich der Schule hängen und wieder einmal werde ich schlucken müssen, wenn ich es sehe. Oder wenn ich dein Fach sehe. Oder wenn ich afrikanische Hackfleischrollen sehe.


Penny

1 Kommentar:

  1. �� So schön geschrieben... Ich drück Dich und schick ein paar Blicke zu Toni-Maccheroni! ����
    LG
    Tonks

    AntwortenLöschen