Besonders nervig finde ich, wenn Schüler mit meiner manchmal doch sehr ironischen Art auch nach Jahren (und Halil klebt mir mittlerweile das vierte! an der Backe) nicht klarkommen. Oder generell mit meiner Art. Wenn ich beispielsweise sage: "Hussein, du kleine Knötterbacke, mopper jetzt nicht weiter herum, sondern arbeite UND Halil, du Transuse, fang jetzt endlich an und hol zumindest das Blatt aus deinem Ordner", dann quittiert dieser das mit: "1. Ich bin keine TRANSE! UND ZWEI-T-EEEENS NEiN! Dagegen!"
Ich brauche mir dann auch nicht die Mühe machen und ihm den Unterschied zwischen Transuse und Transe erläutern, denn er hörte mir gar nicht mehr zu. Angefressen, das bliebe er und ich weiter genervt von ihm und seiner so negativen Art!
Und dann ist er wieder einmal tagelang krank. Man ist beinahe froh, denn endlich ist die Klasse ohne diesen Dagegen-Aufwühler total pflegeleicht. Man macht sich keinen Kopf, wo er steckt und wann er wohl wiederkommt, weil es ohne ihn einfacher ist zu unterrichten.
Und dann kommt er wieder, legt mir seine Entschuldigung auf den Tisch und ich lese in großen Buchstaben TRANSPLANTATIONSZENTRUM HANNOVER und stocke. Und ich frage ihn aus und er berichtet mir von seiner unendlich heftigen Krankengeschichte. Er erzählt mir davon, wie er mit fünf Jahren eine Lebertransplantation bekommen hat. Wie er jedes Jahr zur Organkontrolle muss. Und wie er mit sieben Jahren das erste Mal - gerade als das Organ in seinem kleinen Kinderkörper angekommen war - an Krebs erkrankte. Wie er die Chemotherapie erlebte und den langen Krankenhausaufenthalt empfand. Und wie er - nachdem der Krebs überstanden war - dann mit 15 Jahren erneut an Krebs erkrankte und auch von seiner anderthalbjährigen Chemo und Reha.
Und während er mir das alles erzählt, werden seine Gesichtszüge viel weicher. Ja, hat er ein freundliches Gesicht. Ich sehe ein Kind, ein verletzliches, kleines Kind, nicht den heutigen 20 Jährigen. Ich sehe seine Narben auf seiner Seele, seine Angst und seine Einsamkeit.
Ich sehe, dass sein ganzes Leben im Grunde nur aus Kampf besteht. Überlebenskampf. Unfreiwillig gewählt.
Und ein bisschen verstehe ich nun, warum er IMMER dagegen ist: Weil es sich vermutlich verdammt schön anfühlt, wenn man aus freien Stücken NEIN sagen kann. Nicht, weil der Körper einem diesen Kampf aufzwingt, sondern weil ER es möchte.
Er ist nicht weniger anstrengend durch seine Geschichte geworden! Aber es ist mittlerweile anders. Ich sehe ihn mit anderen Augen und vor allem sehe ich seine Augen nun ganz anders. Das sind nicht mehr die eines störrischen Nein-Sagers, sondern die eines Lebenskampferprobten.
Heute sagte er am Stundenende: "Ich habe am We nichts gemacht. Ich bin ja immer alleine, denn mit mir kommt ja niemand klar!" und da wurde ich ziemlich traurig.
*Der Name ist frei erfunden, die Geschichte dahinter nicht.
Vergesst nie auch mal hinter die Fassade zu blicken.
Eure Penny, die nicht verschollen ist, sondern irgendwo zwischen
- Halbjahresnotenstress
- Minimolekülbespaßungsprogramm
und allgemeinen Lebensstresswochen
verbuddelt ist! ❤️
Aber ich komm wieder. ;)