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Montag, 25. Januar 2016

Wenn der Vorhang fällt, schau hinter die Kulissen

Halil* ist ein anstrengender Schüler und genau von der Sorte, die mich am meisten nerven. Diese Quasselheinis, die immer irgendwelchen groben Unfug von sich geben, die immer etwas DAGEGEN sagen. Selbst wenn ich sagen würde (mache ich natürlich nie!): "Hey Leute, heute schieben wir mal eine ruhige Kugel und machen GAR NICHTS", hätte er etwas dagegen. So wirklich leiden mag ihn niemand. Seine Mitschüler ignorieren ihn entweder oder rollen genervt mit den Augen, wenn er mal wieder gegen irgendetwas ist. Gegen Frieden. Gegen Bananen. Gegen Sonne. Ach, einfach gegen alles. 
Besonders nervig finde ich, wenn Schüler mit meiner manchmal doch sehr ironischen Art auch nach Jahren (und Halil klebt mir mittlerweile das vierte! an der Backe) nicht klarkommen. Oder generell mit meiner Art. Wenn ich beispielsweise sage: "Hussein, du kleine Knötterbacke, mopper jetzt nicht weiter herum, sondern arbeite UND Halil, du Transuse, fang jetzt endlich an und hol zumindest das Blatt aus deinem Ordner", dann quittiert dieser das mit: "1. Ich bin keine TRANSE! UND ZWEI-T-EEEENS NEiN! Dagegen!"
Ich brauche mir dann auch nicht die Mühe machen und ihm den Unterschied zwischen Transuse und Transe erläutern, denn er hörte mir gar nicht mehr zu. Angefressen, das bliebe er und ich weiter genervt von ihm und seiner so negativen Art! 

Und dann ist er wieder einmal tagelang krank. Man ist beinahe froh, denn endlich ist die Klasse ohne diesen Dagegen-Aufwühler total pflegeleicht. Man macht sich keinen Kopf, wo er steckt und wann er wohl wiederkommt, weil es ohne ihn einfacher ist zu unterrichten. 

Und dann kommt er wieder, legt mir seine Entschuldigung auf den Tisch und ich lese in großen Buchstaben TRANSPLANTATIONSZENTRUM HANNOVER und stocke. Und ich frage ihn aus und er berichtet mir von seiner unendlich heftigen Krankengeschichte. Er erzählt mir davon, wie er mit fünf Jahren eine Lebertransplantation bekommen hat. Wie er jedes Jahr zur Organkontrolle muss. Und wie er mit sieben Jahren das erste Mal - gerade als das Organ in seinem kleinen Kinderkörper angekommen war - an Krebs erkrankte. Wie er die Chemotherapie erlebte und den langen Krankenhausaufenthalt empfand. Und wie er - nachdem der Krebs überstanden war - dann mit 15 Jahren erneut an Krebs erkrankte und auch von seiner anderthalbjährigen Chemo und Reha. 

Und während er mir das alles erzählt, werden seine Gesichtszüge viel weicher. Ja, hat er ein freundliches Gesicht. Ich sehe ein Kind, ein verletzliches, kleines Kind, nicht den heutigen 20 Jährigen. Ich sehe seine Narben auf seiner Seele, seine Angst und seine Einsamkeit. 

Ich sehe, dass sein ganzes Leben im Grunde nur aus Kampf besteht. Überlebenskampf. Unfreiwillig gewählt. 
Und ein bisschen verstehe ich nun, warum er IMMER dagegen ist: Weil es sich vermutlich verdammt schön anfühlt, wenn man aus freien Stücken NEIN sagen kann. Nicht, weil der Körper einem diesen Kampf aufzwingt, sondern weil ER es möchte. 

Er ist nicht weniger anstrengend durch seine Geschichte geworden! Aber es ist mittlerweile anders. Ich sehe ihn mit anderen Augen und vor allem sehe ich seine Augen nun ganz anders. Das sind nicht mehr die eines störrischen Nein-Sagers, sondern die eines Lebenskampferprobten. 

Heute sagte er am Stundenende: "Ich habe am We nichts gemacht. Ich bin ja immer alleine, denn mit mir kommt ja niemand klar!" und da wurde ich ziemlich traurig. 

*Der Name ist frei erfunden, die Geschichte dahinter nicht. 




Vergesst nie auch mal hinter die Fassade zu blicken. 

Eure Penny, die nicht verschollen ist, sondern irgendwo zwischen

- Halbjahresnotenstress
- Minimolekülbespaßungsprogramm
und allgemeinen Lebensstresswochen

verbuddelt ist! ❤️

Aber ich komm wieder. ;)





Dienstag, 12. Januar 2016

Heute

Durch den Elektrogroßmarkt (du seeeeeehr interessiert, ich seeeeeeehr gäääähn...schnaaaaarch) schlendernd und dann greift deine Hand meine und hält sie fest. 

Ins Auto einsteigen und dir mit gespielter Empörung zu sagen, dass du mir gerade meine Illusion ("Herrjeeee, dieses Kinderspielhaus da direkt neben dem Hühnerstall, also da kann man was draus machen...") mit den Worten: "Das ist nichts für uns!" genommen hast, dich anzugucken und dann gemeinsam laut loslachen. 

In den Döner zu beißen und dein "Wooohooo, die Sauce hat aber Wumms" zu vernehmen und meiner Frage: "Sollen wir mal bezahlen?" mit einem grinsenden "Wie...DAS müssen wir hier auch?" zu begegnen. 

Genau das! ❤️


Sonntag, 10. Januar 2016

Der Termin

Wir schreiben die Deutscharbeit am Montag in den ersten beiden Stunden. 

Da kann ich nicht. Ich muss zum Arzt. 

Warum legst du dir deinen Termin auf die Schulzeit, Jochen? Wir hatten gerade FERIEN, da hättest du JEDEN Tag gehen können! 

Die haben mir aber den Termin gegeben. 

Ja, klar. Und dann musst du sagen, dass du MORGENS Schule hast und bittest um einen Termin am Nachmittag. Das mache ich auch so. 

Ich MUSS da auf jeden Fall morgens hin. Das ist SEHR WICHTIG, dass ich da hingehe. 

Ich verstehe, dass der Arztbesuch notwendig ist. Aber der wäre auch ein paar Stunden später möglich. Und soooo schlimm kann es nicht sein, wenn du in den Ferien nicht gegangen bist. 

Frau Herzmoleküüüüül, es ist WICHTIG! Das geht nur morgens!!

Pass auf, ich mag jetzt nicht weiterdiskutieren. Du kannst dann zum Nachschreibtermin kommen. Punkt. 

Oh, das ist super. Wann denn dann? 

Donnerstag. 18 Uhr. Beim Abendunterricht. 

...Frau Herzmolekül, ich sag da ab. Ich bin am Montag da! 
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Na geht doch! ;))))

Einen schönen Wochenstart wünsche ich euch. 

Eure Penny, die gerne Privata wäre. Wie wird man das denn? Ist es für mich schon zu spät? Ich könnte mir ein solches Leben seeeeeeeehr wunderbar vorstellen. Gibt es da einen Ausbildungsbetrieb? Wie lang muss ich dann nochmal büffeln? ❤️

Freitag, 8. Januar 2016

Gelöscht.

Gestern Abend fiel er mir nach einigen Monaten wieder ein. Ich habe so etwas manchmal. Da kommt irgendwas lang Weggelegtes in meine Hirse und ich kann nicht erklären wieso. 
Nun ja, ich tippte also die Adresse in den Browser. Es tat sich nichts. Vielleicht kein Internet? Keine Ahnung was das jetzt wieder soll. Also nochmal. 

...
Das gibt es doch nicht! 
Wo ist er hin?
Gibt es den Anbieter denn noch? 
Google. Google. Nichts. Wie vom Erdboden verschluckt. 

Ich konnte mich nicht von ihm verabschieden. Hunderte Posts, tausende Schnipselgedanken und ein großer Teil meiner Vergangenheit in verschriftlicher Form sind einfach weg. 

Irgendwie ist es komisch. Nichts davon habe ich abgespeichert. Nichts davon ist im Netz auffindbar. Warum auch immer. 

Es ist als ob er und damit auch das Erlebte niemals existiert haben.

Jemand hat LÖSCHEN gedrückt und futsch alles weg.  

Ich wäre natürlich gerne vorher gewarnt worden: "Hey Penny, dein alter Blog, also der mit den unzählig vielen Geschichten, mit den ganzen wilden Erlebnissen, also der wird in den nächsten Wochen weg sein. Also falls du noch was retten willst..."

Und dann hätte ich kurz geschluckt. Nachgedacht. Und meine Antwort formuliert: 

"Danke für die Info. Teile kann ich nicht retten. Wenn, dann müsste ich ALLES speichern. Weil das ja auch alles zusammengehört. Weil man das nicht so trennen kann in "ach, das war ja doch gut" und "ne, das MUSS weg"! Weil das ja alles mein Leben war und ist."

Und in meinem Herzen hätte ich längst entschieden NICHTS zu retten. 
Weil ich heute daraus extrem bestärkt hervorgehe. Weil Narben dazugehören und mich nicht (mehr) belasten. Und weil das alles eben zur Vergangenheit gehört. Und ich heute nunmal die bin, die ich auch dadurch gemacht wurde.
Ich brauche diesen alten Blog nicht mehr  dafür, um immer und immer wieder nachzulesen wie beschissen viele Momente waren. Ich brauche keine Erinnerung, so wie man es manchmal braucht, wenn es einem mies geht, so nach dem Motto: "Lies mal, was du alles erlebt hast. Dann weißt du wie gut es dir jetzt geht!"

Ich weiß das alles so zu schätzen und das wird niemals aufhören. 
Kein unfreundliches Problem der Welt wird mich mehr umhauen. 

Und meinem Blog winke ich liebevoll und keineswegs wehmütig zum Abschied hinterher. 

Danke für dich. Für Bloodflower. Für alles.